Gastkommentar

Mit Franken danken

 

Das Pflegepersonal opfert sich in der Coronakrise für uns auf. Unser Dank muss aus mehr bestehen als nur aus Applaus vom Balkon.

Irgendwann wird es vorbei sein. Zuerst in den Statistiken und dann, ein bisschen später, auch in den Köpfen. In den Zeitungen werden sich Kolumnisten neuen Themen zuwenden und darüber schreiben, was für schöne Sachen sich aus all den gehorteten WC-Papier-Rollen basteln lassen, die Seeufer werden wieder voller Menschen sein, und die Coiffeure sich vor Terminwünschen nicht retten können. Die Erinnerungen an Quarantäne und Homeoffice werden sich in Heldensagen tapfer ertragener Entbehrungen verwandeln, und manch einer wird seinen Enkeln erzählen: «Jedes Mal, wenn wir auf den Balkon hinausgingen, um dem Pflegepersonal zu applaudieren, kamen mir vor Rührung die Tränen.»

Nur, befürchte ich, für das Pflegepersonal selbst wird sich nichts geändert haben. Zwar erfahren wir jetzt stärker als je zuvor, wie buchstäblich lebenswichtig ihre Arbeit für uns alle ist. Aber leider hat auch Dankbarkeit ein Ablaufdatum. Die Pflegefachleute werden auch weiterhin zu miserablen Löhnen in viel zu eng getakteten Arbeitsplänen schuften. Dass wir sie ein paar Wochen lang als Helden gefeiert haben, wird ihnen nichts nützen.

Ausser wenn wir uns zusammentun und etwas daran ändern.
Jetzt.

Solang wir uns noch bewusst sind, was während der Pandemie in Spitälern und Altersheimen für die Gemeinschaft geleistet wird. Solang wir noch nicht vergessen haben, dass Menschen dort für uns alle die eigene Gesundheit und sogar das eigene Leben aufs Spiel setzen. Solang uns noch klar ist, dass es keine ausreichende Gegenleistung ist, wenn wir auf dem Balkon ein bisschen in die Hände klatschen. Dankbarkeit ist eine Bringschuld.

Ich bin in der praktischen Politik nicht bewandert und kenne nicht den einzig richtigen Weg, um diese Dankbarkeit zu zeigen. Ich weiss nur: Sie muss gezeigt werden, nicht nur mit schönen Worten, sondern auf viel handfestere Weise. Messbar in Franken und Rappen.

Vielleicht ist eine kantonale Volksinitiative der richtige Weg: die Forderung dem Pflegepersonal, das sich in der Krise für uns aufgeopfert hat, einen anständigen Mindestlohn zu garantieren. Eine solche Initiative benötigt laut Kantonsverfassung die Unterschrift von 6000 Stimmberechtigten. Zürich hat anderthalb Millionen Einwohner. Wenn Dankbarkeit mehr bedeutet als grosse Worte in Sonntagsansprachen, müssten die notwendigen Namen in wenigen Tagen zusammenzubringen sein.

Bestimmt gibt es auch viele andere Möglichkeiten, um diesem Berufsstand unsere Wertschätzung auf ganz praktische Weise zu zeigen. Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, welche davon die beste ist. Jeder Input ist willkommen.

Nur dürfen wir unsere Dankespflicht nicht zerreden, und so lang darüber diskutieren, bis wir uns die besonderen Leistungen dieser Menschen wieder zur Selbstverständlichkeit zurechterinnert haben.

Wie immer die Aktion letzten Endes aussehen wird: Jetzt ist der Moment, sie in Angriff zu nehmen. Jetzt, wo unsere Dankbarkeit noch lebendig ist. Denn irgendwann – und ich befürchte, das wird bald sein – werden die Bedenkenträger wieder die Oberhand gewinnen. Ich kann ihre Argumente jetzt schon hören. «Die Pandemie», werden sie sagen, «hat der Gemeinschaft so viel neue Schulden beschert, dass eisern gespart werden muss. Und darum liegt es leider, leider nicht drin, für das Pflegepersonal mehr Geld auszugeben.» Leider, leider, leider.

Ich bin Mitglied der SP, aber es würde mir falsch erscheinen, wenn eine solche Initiative von einer Partei ausginge. Das Coronavirus schaut nicht auf den Stimmzettel, bevor es jemanden infiziert. Natürlich, breite Unterstützung von links bis rechts wäre schön, aber die Träger einer solchen Bewegung müssen wir alle sein. Es müsste eine Initiative werden, die wirklich vom Volk ausgeht.

Wer hat Ideen? Wer ist dabei? Wer macht mit? Meine Mailadresse: charles@lewinsky.ch

Charles Lewinsky
Der Schriftsteller und Drehbuchautor, Jahrgang 1946, wohnt in Zürich.

 

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