Fast eine Familiengeschichte


Fascht e Familie entstand aus einer ganzen Reihe praktischer Überlegungen. Schon das Grundkonzept – vier Menschen unterschiedlicher Herkunft wohnen als Beinah-Familie zusammen – entsprang nicht etwa einer brillanten Eingebung des Autors, sondern hatte einen ganz einfachen, typisch schweizerischen Grund: In unserem kleinen Land wäre es kaum möglich gewesen, für die Besetzung einer Familie vier Schauspieler mit dem gleichen Dialekt zu finden. Aber eine Familiengeschichte sollte es werden, weshalb sich die dramaturgische Lösung einer WG aufdrängte, eben: Fast eine Familie.
Auch die Tatsache, dass FeF auch schon, als sie vor dreissig Jahren zum ersten Mal über die eidgenössischen Bildschirme flimmerte, eine altmodische Sendung war, hatte nichts mit mangelnder Modernität ihrer Erfinder zu tun, sondern war genau so beabsichtigt. Es ging darum, die für unser Land damals noch völlig neue Form der Sitcom dem Publikum nicht nur nahezubringen, sondern sie als etwas Vertrautes erscheinen zu lassen, als etwas, das einem das Gefühl gab, so etwas oder doch so etwas Ähnliches habe es bei uns schon immer gegeben. Es ging um die Akzeptanz einer Neuerung, und deshalb wähl­ten wir für die Geschichten, die wir erzählen wollten, ganz bewusst eine Form, die schon immer ein fester Bestandteil jener Theaterform war, die man – oft mit einem unverdient abwertenden Unterton – als «volkstümliches Theater» bezeichnet. Die neue Sendung sollte sich nicht anders anfühlen als das, was am bunten Abend des Dramatischen Vereins für Gelächter sorgte.
Unsere Planung war langfristig. Wenn die Sitcom als Form erst einmal eingeführt und akzeptiert war, so unsere Über­legung, würde man darin irgendwann auch anspruchsvollere Themen ansprechen können, ohne den auf Unterhaltung eingestellten Zuschauer damit zu verprel­len.
Und der Plan ging auf. Das Publikum schloss die Figuren, die während hundert Folgen das Ensemble bildeten, in sein kollektives Herz, und die Busreisen nach Sitterdorf, wo man an den wöchentlichen Live-Aufzeichnungen teilnehmen konnte, wurden zu regelrechten Pil­gerfahrten.
Aber dann wurde der vertraute Schwank- und Charaktermechanismus gestört: als Hanna Scheuring, die Darstellerin des Vreni aus privaten Gründen aus der Serie ausstieg und eine neue Figur erfunden werden musste, mit der das Missverständnis- und Verwicklungsmaschinchen reibungslos weiterlaufen konnte.
Auch hier waren wieder praktische Überlegungen gefragt. Das neue «Familien»-Mitglied durfte nicht einfach ein Vreni-Klon werden, sondern musste einen eigenen, unverwechselbaren Charakter haben, wenn möglich – die Serie war schließlich bereits bei Folge 68 angekommen – mit ein bisschen mehr Tiefgang, als wir es unserem Publikum ein paar Jahre vorher zuzumuten gewagt hätten.
Ich machte mir also eine Liste, welche Eigenschaften ein solches «Nicht-Vreni» haben müsse. Nicht naiv, sondern welterfahren, nicht schüchtern, sondern zupackend, nicht schwach, sondern stark. Auf der Suche nach einem Beruf, der zu einer solchen Figur passte, fiel mir sehr bald eine Hebamme ein, also jemand, der die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen mit seelischem Feingefühl verband. Und als ich bei einem Gespräch mit der Leiterin einer Hebammenschule erfuhr, dass die meisten ihrer Schülerinnen großgewachsen seien – ein Phänomen, für das sie keine Erklärung wusste – setzte ich auch das noch auf die Wunschliste, die ich unserer Besetzungsspezialistin Ruth Hirschfeld in die Hand drückte.
Und dann passierte jener Zufall, der mir schon bald ebenso viel unverdientes Lob wie unverdienten Tadel eintragen sollte. Ruth Hirschfeld meldete sich nämlich schon bald zurück und sagte: «Ich habe die perfekte Besetzung gefunden. Sie heisst Sandra Moser. Aber du wirst sie nicht nehmen.»
«Warum nicht?», fragte ich.
«Sie ist eine Schwarze.»
Ich kann nach all den Jahrzehnten nicht beschwören, dass Ruth damals genau diese Formulierung verwendete. Vielleicht sagte sie auch etwas von «dunkler Hautfarbe» oder benutzte eine andere Formu­lierung. Es ist nicht wichtig. Die Sprachpolizei war damals noch nicht pausenlos auf der Jagd nach Formulierungs-Fehltritten.
So wie ich mich erinnere, schien mir das Ganze kein großes Problem zu sein. Wir waren schließlich nicht auf der Suche nach einer Hautfarbe, sondern nach einer Figur. Und nach einem ersten Treffen mit Sandra war ich davon überzeugt, dass es eine bessere Besetzung für unsere Hebamme nicht geben konnte.
Später wurde mir immer mal wieder schulterklopfend zu dem Mut gratuliert, den es doch bestimmt gebraucht habe, um in eine so superschweizerische Sendung eine Figur mit dunklerem Teint einzuführen. Ungeheuer fortschrittlich und aufklärerisch sei das von mir gewesen.
Und ein Vierteljahrhundert später musste ich mich wegen derselben Besetzung gegen den Vorwurf verteidigen, von rassistischen Klischees profitiert zu haben.
Das Lob ging an der Wirklichkeit ebenso vorbei wie die Vorwürfe. Ich war nicht mutig gewesen, und ich hatte nicht auf billige Vorurteilslacher gesetzt, sondern ich hatte die perfekte Hebamme gesucht. Und gefunden.
Natürlich – so naiv waren wir nicht – war uns klar, dass Sandras Hautfarbe Aufsehen erregen würde. Deshalb beschloss ich, das Thema bei ihrem allerersten Auftritt anzusprechen, um es später nie mehr erwähnen zu müssen. Und zwar in einer Form, die deutlich machte, dass die Vorurteile der WG-Bewohner lächerlich waren und nicht Sandras Aussehen. Ich habe mir die Folge bei Play SRF noch einmal angesehen und finde, es ist mir eigentlich ganz gut gelungen.
Auch die langfristigen Pläne für weitere anspruchsvollere Sitcoms liessen sich gut an. In Fertig lustig konnte schon mal über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz diskutiert werden, ein Thema, das in FeF undenkbar gewesen wäre, und in Bürgerbüro ging es um eine Menge relevanter Dinge. Doch als die Dreharbeiten zu Bürgerbüro begannen, hatte der Programmdirektor schon beschlossen, das Genre Sitcom als Ganzes abzuschaffen. Gegen Entscheide von höchster Stelle helfen die gründlich­sten Planungen nichts.

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