Wenn die Sie ein Er ist

Manche Dinge in seinem Berufsleben kann man vorplanen. Oder doch zumindest erhoffen. Die wirklich interessanten kommen oft ganz überraschend.

So ging es mir bei der Zusammenarbeit mit dem ungewöhnlichen Menschen, der als Mary (www.mary-preusse.ch) ein Star ist und als Georg Preusse ein guter Freund. Ich lernte ihn noch in meiner Zeit als Redakteur beim Schweizer Fernsehen kennen, als er in einer von mir betreuten Show mit seinem Partner Gordy dort gastierte. Aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, mal für ihn was zu erfinden. Denn Mary und Gordy, das wusste man, schrieben sich ihre Texte selber.

Aber irgendwann löste sich diese Partnerschaft auf und Georg brauchte einen neuen Partner für das geistige Pingpong, in dem er seine Programme erarbeitet. Wir machten einen ersten Versuch bei einem Auftritt in „Verstehen Sie Spaß“. Und seither sind wir ein Team.

Ich hatte eine Menge zu lernen. Ich wusste damals nicht sehr viel mehr über Travestie, als dass dort ein Mann im Frauenkostüm auftritt. Wie exakt so eine Kunstfigur wie Mary gezeichnet sein muss, wie sie einen ganz eigenen, unverwechselbaren Charakter hat, wie sich Gefühligkeit und spitzigste Pointen bei ihr vermischen müssen – von all dem hatte ich keine Ahnung. Und ich bin mir auch heute, nach all den Bühnenprogrammen, die ich für Georg-Mary geschrieben habe, immer noch nicht ganz sicher.

Wenn so ein Programm entsteht, müssen zuerst einmal die richtigen Lieder gefunden werden, und das ist jedes Mal ein langer Prozess, der immer wieder von vorne anfängt. Mit all den Liedern, die ich für Georg geschrieben habe, und die es dann doch nicht ins Programm geschafft haben, könnte man eine ganz nette Tournee bestreiten.

 

Bei den Conférencen stellt sich ein ganz besonderes Problem: die Pointen müssen so formuliert sein, dass sie jeder für originale Mary-Produkte hält. Hier wird der Texter wirklich zum unsichtbaren Ghostwriter. Am meisten freut es mich immer, wenn ich im Foyer einen Zuschauer sagen höre: „Unwahrscheinlich, wie diese Mary improvisiert.“ Denn vom Branchengeheimnis braucht niemand im Publikum etwas wissen: aus dem Stegreif brillant sein kann nur, wer sich gründlich vorbereitet hat.

Georg Preusse ist der härteste und – auch gegen sich selber – unerbittlichste Arbeiter, der mir je auf einer Bühne oder in einem Fernsehstudio begegnet ist. Eine Premiere, die er mit strahlendem Lächeln durchhielt, spielte er mit gebrochenem Fuß und gerissenen Bändern. Und das in Stöckelschuhen, wo mir die Füße schon weh tun, wenn ich mir die hohen Absätze nur ansehe.

Er ist ein Künstler, der einem klar macht, dass Travestie nicht Kleinkunst sondern große Kunst ist.

 

Stoßseufzer eines Textautors

Ich schreib für einen, der ist ziemlich unbeschreiblich,
weil man ihn nicht ins simple Schema packen kann.
Wie schreibt man Texte bloß ganz ausgesprochen weiblich
für einen ausgesprochen echten jungen Mann?

Er führt die Mary wie ein Spieler seine Puppe.
Falsch sind die Wimpern. Aber echt ist das Gefühl.
Er ist alleine eine ganze Schauspieltruppe,
und jede Rolle hat ein eigenes Profil.

Er bringt die Pointen nicht. Er lässt sie lieber fallen
und wartet ab – bis dann das Lachen explodiert.
Er lächelt sanft und lässt dabei die Peitsche knallen.
Er hat sein Publikum schon fabelhaft dressiert.

Auch bei der Arbeit ist er ganz diskret despotisch,
mal Quasselstrippe und dann wieder völlig still.
Er ist sehr ordentlich. Und ordentlich chaotisch.
Und manchmal weiß er überhaupt nicht, was er will.

Ob er als Mary oder ganz privat als Mann kommt,
in einem Punkt ist diese Arbeit wie verhext:
Wenn ich was schreibe und die Pointe dann nicht ankommt,
dann liegt es nicht an ihm. Und nicht an ihr.
Dann liegt’s am Text.

 

Hörprobe
Einer meiner liebsten Mary-Songs, natürlich komponiert von Markus Schönholzer: