24 Zukünfte
176 Seiten
2013, Verlag Nagel & Kimche

Vom Politiker, der Sonntagsreden hält (was man übrigens die ganze Woche tun kann) bis zum Wissenschaftler, der fremdwortgespickte Analysen produziert, weiß jeder immer ganz genau, was die Zukunft bringen wird. Und irrt sich natürlich jedes Mal. „Das Leben ist das, was passiert, während du damit beschäftigt bist, Pläne für etwas ganz anderes zu machen“, hat John Lennon einmal gesagt.

Der Blick in die Zukunft ist zwar selten aussagekräftig, aber dafür eine ideale Spielwiese für den Satiriker. Zumindest in diesem Punkt irrt Goethe: In der Übertreibung zeigt sich der Meister. Es hat mir großen Spaß gemacht, bei der Beschreibung möglicher eidgenössischer Zukünfte nach Strich und Faden zu übertreiben. Manche Dinge sieht man unter dem Vergrößerungsglas einfach besser. Ich glaube nicht wirklich, dass wir unsere Regierung einmal in einer Sendung à la „Die Schweiz sucht den Superstar“ per Televoting bestimmen werden – aber so unendlich weit davon sind wir schon heute auch nicht entfernt. Und ich bin auch nicht wirklich fest davon überzeugt, dass schon bald ein himmelblauer Kunstschnee erfunden wird, auf dem…

Ach was, lesen Sie das Buch doch selber. Vielleicht machen Ihnen ja die ganz verschiedenen literarischen Formen, in denen die einzelnen Geschichten abgefasst sind, genauso viel Vergnügen wie mir.

Schweizen ein Vorwort

Den Seinen, sagt das Sprichwort, gibt’s der Herr im Schlaf. Nun habe ich zwar, weiss Gott, keinen Grund, mich besonders inniger Beziehun­gen zu höheren himmlischen Instanzen zu rühmen, und ich hege auch grosse Zweifel an der Theorie von Musen, die mit kussbereit gespitz­ten Lippen ins Dichterschlafzimmer flattern. Wer in Erwar­tung ihres Anflugs jede Nacht das Fenster offen lässt, vermute ich, holt sich eher eine Lungenentzündung als eine Idee. Aber der erste Gedanke zu den Texten, die ich hier bevorworte, kam mir tat­sächlich in einem Traum.

Es war einer von der Sorte, zu deren Entschlüsselung man nicht jahrelang freudianische Theorien studiert haben muss. Ein ganz simp­ler Wunsch­traum, in dem mir ein Kunststück gelungen war, das jeder Autor gern einmal schaffen möchte: Ich hatte ohne jede Anstrengung ein Buch geschrieben. (Das geht, glauben Sie mir, im Traum bedeu­tend mühe­loser als in der erdenschweren Wirklichkeit.) Nicht nur geschrieben war das erträumte Meisterwerk, sondern auch schon gedruckt und erschienen, und ich wollte das erste Exemplar gerade zu seinen Vorgängern ins Regal stellen. Das ist jedes Mal ein Höhe­punkt im Schrei­ber­leben, und deshalb als Traummaterial bestens geeignet.

Ohne jede Überraschung, wie das in Träumen so ist, las ich den Titel des Buches. „Schweizen“ stand da auf dem Umschlag, und im Traum schien mir das ein durchaus ein­leuch­tender und sinnvoller Begriff zu sein.

Bis ich dann aufwachte, und sich die Logik-Schaltkreise in meinem Kopf einer nach dem anderen wieder ein­schalteten. Zuerst, ich kann mich noch gut an das enttäuschte Gefühl erinnern, realisierte ich, dass das sich selbst schrei­ben­de Buch mal wieder nur ein Traum gewesen war. Dann, und das war auch nicht erfreulicher, wurde mir klar, dass es ein Wort wie „Schweizen“ über­haupt nicht gibt. Ausser natürlich – jetzt blinkten die Schalt­kreis­lämp­chen schon in allen Farben – als Plural von „Schweiz“. Obwohl unser Land natürlich so einmalig ist, dass es gar keinen Plural haben kann. Genau so wenig wie alle ande­ren Länder. Es gibt kein halbes Dutzend Frank­reiche, und eine Nach­barschaft aus mehreren Deutsch­ländern wäre eine eher erschreckende Vorstellung.

„Schweizen“? Zunächst einmal hatte ich keine Ahnung, was mir mein schlaftrunkenes Hirn damit sagen wollte. Oder die Muse, falls es sie doch gibt. Man weiss ja nie.

Aber dann fiel mir – vielleicht war auch das noch ein Traumsplitter – ein Untertitel dazu ein. Und der enthielt schon wieder einen Plural, den es gar nicht gibt: „Zukünfte.“ Und weil mir sowohl Titel wie auch Untertitel gut gefielen, fing ich an zu überlegen, was für ein Buch man dazu schreiben könnte.

Normalerweise ist der Ablauf ja so: Man schreibt einen Text, denkt sich einen Titel dazu aus, und dann kommt der Verleger und ändert ihn ab. Oder versucht es zumindest. In diesem Fall war es genau umgekehrt. Zuerst war der Titel da, und dann lange nichts.
0 Bis dann plötzlich eine ganze Menge da war.

Es ist eine Sammlung von Geschichten geworden, die alle einen Trend unserer eidgenössischen Gesellschaft in die Zukunft extra­polieren oder sonstwie satirisch verzerren. Wobei die Zukünfte, von denen ich erzähle, natürlich keine Szenarien sind, die ich genau so erwarte. An die menschliche Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, glau­be ich so wenig wie an Musen.

Aber man sieht manche Dinge deutlicher, wenn man sie übertreibt. Karikaturen können ähnlicher sein als Spiegelbilder. Und auf allzu absurde Geschichten habe ich verzichtet. Die Schweiz wird nicht Fuss­ballweltmeister und in der „Arena“ lässt kein Politiker den ande­ren ausreden.

Jede dieser Geschichten ist in einer anderen Textform abgefasst, vom Tagebuch bis zur Ballade, vom Bundesbrief bis zur Krimi­nal­geschichte. Und das nicht aus irgendeinem tieferen Grund, über den sich literaturwissenschaftliche Seminar­arbeiten verfassen lies­sen, son­dern schlicht und einfach, weil es mir Spass gemacht hat, mich stilis­tisch auszutoben und ab und zu einen sprachlichen Purzelbaum zu schlagen. Die Muse, die mir den seltsamen Titel in meinen Traum hinein­geküsst hat, liess mir ausrichten, das dürfe auch einmal sein. Auch wenn ich nicht an sie glaube.

 

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