Roman
198 Seiten
Haffmanns Verlag Zürich, 1991
„Im Fernsehen haben die Würstchen die Macht übernommen und als erstes den Senf abgeschafft.“
Das Motto von Peter Gerlach, dem früheren Unterhaltungschef des ZDF macht deutlich, um was es in diesem Roman geht: um eine gallige Abrechnung mit all der Holterdipolter-Fröhlichkeit und Munkeldischunkel-Gefühligkeit, die im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behauptet unterhaltend zu sein.
Wenn man heute, gar nicht so viele Jahre nach seiner Entstehung, das Buch wieder liest, könnte man beinahe nostalgisch werden. Seither ist alles noch viel schlimmer geworden. Was mir damals als satirische Übertreibung aktueller Trends erschien, wurde von der Fernseh-Wirklichkeit weit übertroffen. Und was im Roman als Gipfelpunkt aller denkbaren Geschmacklosigkeit daher kommt, wirkt im Umfeld heutiger Bildschirm-Realität geradezu bieder. Känguru-Hoden kauende Semiprominente wie in „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ waren damals noch nicht einmal für den schlimmsten Kulturpessimisten denkbar.
Aber lustig ist der Roman immer noch. Weil die Archetypen vor und hinter den Kameras die gleichen geblieben sind. Weil man sich immer noch einen Medienmanager vorstellen kann, der einen Volksmusiksänger in den Rollstuhl setzt, auf dass der Mitleidseffekt für den Behinderten die Umsätze ankurble. Weil es immer noch Fans gibt, die einen Serien-Weißkittel für einen echten Chefarzt halten und von ihm geheilt werden wollen. Und weil die Fernsehredakteure aller Sender immer noch den eigenen Geschmack auf dem Altar der allmächtigen Einschaltquote opfern.
Aber wie sagte doch Helmut Thoma, der erste Programmdirektor von RTL? „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“
Neuauflage: Goldmanns Taschenbuch 1999
Minister Keller verstand überhaupt nichts vom Fernsehen. Aber er war bereit, in gewohnter Gründlichkeit etwas gegen diesen Mangel zu unternehmen.
Schon ganz am Anfang seiner politischen Karriere hatte er eingesehen, dass ihm nie etwas in den Schoss fallen würde. Er hatte den gelangweilten Delegierten irgend eines ländlichen Lokalverbandes mindestens eine Stunde lang die aktuelle politische Lage aufdröseln müssen, um gleich viel Applaus zu ernten wie ein anderer mit einer schnellen Pointe. Aber während sich dieser andere noch am Stammtisch mit säuischen Witzen in die Gunst der lokalen Honoratioren zu schmeicheln suchte, saß Keller schon lange wieder an seinem Schreibtisch und ackerte. Er hatte in Laufe seiner Ochsentour mehr Unterschriften gesammelt, Klinken geputzt und Hände geschüttelt als alle seine Konkurrenten, was ihm an Brillanz fehlte, hatte er durch Fleiß mehr als wettgemacht, und so war er schließlich Minister geworden.
Keller war ein Musterschüler, immer bereit, auf Koryphäen zu hören. Nach Dr. Dünsheimers Rat, er müsse in einer Unterhaltungssendung auftreten, hatte Keller sofort in seinem Arbeitskalender notiert: „Unbedingt Fernsehen!“ Und so schaltete er an diesem Abend den Apparat nicht wie gewohnt gleich nach der Tagesschau aus, sondern machte sich mit einem frisch gespitzten Bleistift und einem kleinen Stapel Karteikarten bereit, neue Erfahrungen zu sammeln.
„Seit wann interessierst du dich denn für ‚Ferngesehen, gern gesehen’?“ fragte seine Frau.
„Dr. Dünsheimer meint, ich sollte in der Sendung vielleicht einmal mitmachen.“
„Du? Du hast doch keine Ahnung! Und in dieser Show kommt es einzig und allein darauf an, dass man alle Programme der letzten fünfundzwanzig Jahre im Kopf hat.“
„Man kann alles lernen“, antwortete Keller, der sich schon durch die kompliziertesten Gesetzesnovellen gebissen hatte.
Aber sein Optimismus ebbte schnell ab, als er feststellen musste, dass er nicht nur keine einzige Antwort wusste, sondern noch nicht einmal die Fragen verstand.
„Warum kam Otto Gillermann zu spät zu seiner eigenen Hochzeit?“ fragte beispielsweise der Quizmaster, und der Kandidat, der wie ein Schullehrer aussah, antwortete ohne zu zögern: „Weil er das Wohnzimmer frisch tapeziert hatte!“ Das Fernsehbild zeigte begeistert applaudierende Zuschauer.
„Wer zum Teufel ist dieser Otto Gillermann?“ fragte Keller.
„Das ist doch der Jüngste von den Gillermanns“, antwortete seine Frau, „der einmal weggelaufen ist, weil er zum Zirkus wollte.“
„Und wer sind die Gillermanns?“
„Die musst sogar du kennen! ‚Immer diese Gillermanns’! Die waren doch damals am Sonntagabend.“
„Im Fernsehen?“
„Aber Schatz! Manchmal kriegst du wirklich nichts von dem mit, was in der Welt vor sich geht!“
„Du kannst mir ja dabei helfen! Was haben Otto Gillermanns Tapeten mit seiner Hochzeit zu tun?“
„Ich kann mich noch genau erinnern, so komisch war das! Er wollte das Wohnzimmer tapezieren, um seine Braut zu überraschen – wie hieß sie doch gleich? Diese Rothaarige, mit dem Vater, der sich vor Hunden fürchtete. Du weißt schon.“
„Ich weiss nicht“, sagte Minister Keller ärgerlich und ergänzte den Namen Otto Gillermann auf seiner Karteikarte mit den Vermerk: ‚Braut?? (rothaarig)’.
„Auf jeden Fall“, fuhr seine Frau fort, „hatte er statt Tapetenkleister irgend so einen Blitzkleber genommen, und dann konnte er doch nicht in Unterhosen in die Kirche, verstehst du.“
Aber Minister Keller verstand nicht, und auf dem Bildschirm schien es dem Kandidaten mit dem Pferdeschwanz auch nicht besser zu gehen.
„Welches Mitglied der Familie Gillermann musste einmal drei Löffel Rizinusöl schlucken?“ hatte man ihn gefragt, und er hatte nur die Schultern gezuckt und wartete jetzt friedlich lächelnd auf den Gong, der das Ende der Bedenkzeit anzeigen würde.
„Gillermann! Gillermann!“ ärgerte sich Minister Keller. „Warum fragen die nicht mal was anderes? Was ein vernünftiger Mensch auch wissen kann? Irgendetwas, das zur Allgemeinbildung gehört!“
„Die Gillermanns gehören zur Allgemeinbildung“, meinte seine Frau. „Schließlich ist die Reihe fast fünf Jahre gelaufen.“
„Möglich. Aber die könnten doch ruhig auch einmal…“ Er brach ab, denn der Quizmaster hatte eben an die Kandidatin mit der altmodischen Frisur eine Frage gestellt, auf die auch Keller eine Antwort wusste: „Kennen Sie ein Gedicht von Johann Wolfgang Goethe?“
„Endlich“, sagte Keller, der noch heute alle Gedichte auswendig wusste, die er in der Schule hatte lernen müssen. „Da wäre zum Beispiel ‚Über allen Gipfeln ist Ruh’.“
„Schsch!“ sagte seine Frau.
Die Kandidatin strahlte triumphierend in die Kamera und rezitierte: „Fehlt beim Frühstück Marmelade, ist es um das Aufstehn schade!“
„Was?“ fragte Keller.
Auf dem Bildschirm jubelte der Quizmaster. „Sehr gut! Den Punkt haben Sie schon gewonnen! Können Sie uns aber auch noch sagen, wer Goethe war?“
„Das ist leicht“, sagte Keller, „aber von Marmelade hat er nie etwas geschrieben.“
„Das ist leicht“, sagte die Kandidatin im Fernsehen. „Johann Wolfgang Goethe war der Übername von Freddy Gillermann, weil der so schöne Verse machen konnte.“
Minister Keller drückte den Ausschaltknopf der Fernbedienung. „Schluss!“ sagte er. „Schluss, Ende, aus! Wenn Dünsheimer meint, dass ich im Fernsehen auftreten muss, dann muss ich das halt. Aber nicht in dieser Sendung! Ganz bestimmt nicht in dieser Gillermann-Fragestunde!“
So kam es, dass Minister Keller den Schluss von ‚Ferngesehen, gern gesehen’ verpasste. Im Hinblick auf die Entwicklungen der nächsten Tage war das eigentlich jammerschade.
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