mit Jacob Stickelberger
Illustrationen von Ruth Lewinsky
Monatsgedichte
79 Seiten
Nagel und Kimche Zürich, 2007

Wenn ein Rechtsanwalt und Chansonnier und ein Bestsellerautor zusammen auf Tournee gehen, dann muss man einiges erklären. Vor allem, wenn sie einen Abend lang Lieder präsentieren wollen und nur einer von beiden singen kann. Was übrigens auch fürs Gitarrespielen gilt.

Angefangen hat das Ganze damit, dass ich den Jacob drängte, doch endlich mal wieder neue Lieder zu schreiben. Worauf der sagte: „Ich schreibe eins, wenn Du auch eins lieferst.“ Und seither, seit mehr als fünf Jahren, treffen wir uns einmal im Monat zum Mittagessen, und jeder muss dem andern einen Liedtext vorlesen. Zum selben vereinbarten Thema, wohlverstanden.

Jedes Lied – das ist das Besondere an diesem Kleinkunst-Duell – existiert also gewissermassen als A- und als B-Seite, in einer stickelbergerischen und einer lewinskyschen Variante. Auf der Bühne wird die eine in bewährter Berner Troubadouren-Manier gesungen, die andere vorgelesen. Manchmal haben sich aus dem gemeinsamen Thema ganz ähnliche Lieder ergeben. Aber eben nur manchmal. Meist haben wir uns vom selben Startpunkt aus in ganz verschiedene Richtungen verlaufen. Und genau das macht den Reiz für den Zuhörer aus.

Und für den Leser, will ich hoffen. Der bekommt zusätzlich noch die wunderschönen Zeichnungen der besten Illustratorin, die ich je geheiratet habe.

S’schööni Fräulein Böhni

1. Wänn e zärtlichs Fingerschpitzli
früeh a miinre Türe lüütet,
dänn verschrick ich nur es bitzli,
will ich weiss, was das bedüütet.
S’git nur eini, wo so himmlisch
mit de Türeglogge z’Schlag chunnt.
Das muesch du sii, wo da bimmlisch!
Will kei anderi in Frag chunnt.
Und miis Herz schlaat hööcher, will ich weiss: Bigoscht,
das isch s’schööni
Fräulein Böhni
vo de Poscht.

2. Also under dere Tecki
und em Lintuech sofort füre!
Und ich ränn die ganzi Schtrecki
quer dur d’Wohnig bis a d’Türe.
G’hör de Öffner dunne summe,
g’höre d’Schritt scho uf de Schtäge,
merk, wie-n-ich is Schwitze chume,
will jetzt chunnt sie mir entgäge,
die guet Fee vom Poschtamt Wollishofe Oscht.
Das isch s’schööni
Fräulein Böhni
vo de Poscht.

3. Und sie holt us ihre Täsche –,
ach, wär ich det gern verschteckt drin! –
es Paket mit ere Fläsche.
Det isch allerfeinschte Sekt drin.
Und ich säg: Es miech mich glücklich,
Sie verliessed mich jetzt nonig.
Nämed mir doch z’ersch es Schlückli,
da bi mir i miinre Wohnig.
Und scho schtoossed mir zwei aa und säged „Proscht!“,
ich und s’schööni
Fräulein Böhni
vo de Poscht.

4. Nach em zweite, dritte Gläsli,
will mer doch so schön elei sind,
rauche mir dänn no es Gräsli,
bis mir beidi richtig high sind.
Dänn wett sie es bitzli pfuuse,
das wär jetzt für sie am beschte,
und sie neschtled a de Bluse,
und dänn schränzt sie no am Reschte,
wo doch Schpitzeunterwösch en Huufe choscht –
au für’s schööni
Fräulein Böhni
vo de Poscht.

5. Und dänn schtaat sie da ganz ohni
Uniform und seit: Sie findi,
dass sich d’Arbet nume lohni,
wämmer d’Chundebindig bindi.
Und ich söll sie jetzt frankiere,
wänn ich wüss, was das bedüütet.
Und ich wott’s au grad probiere,
wo’s ganz plötzlich wieder lüütet.
Wäg dem Lüüte isch dänn alles abverreckt.
Gopferteckel
s’isch de Wecker,
wo mich weckt.

 

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