Lieber Dirk,

Mein Schreiberleben möchtest Du erzählt haben? Und erwartest wahrscheinlich einen gradlinigen Entwicklungsroman, der mit „Melnitz“ seinen krönenden Abschluss findet? Ich kann leider nicht dienen. Ich war, was das Schreiben anbelangt, immer zu neugierig. Am meisten hat mich immer das gereizt, was ich noch nie gemacht hatte. Und das liess mir dann keine Ruhe, bis ich glaubte, es im Griff zu haben. Das hat oft Jahre gedauert. Und manchmal Jahrzehnte.

Das erste Theaterstück schrieb ich mit sechzehn Jahren. Es wurde auch tatsächlich gespielt, und alle Zuschauer kriegten Akne, weil es so pubertär war. Den ersten Roman dann mit Anfang zwanzig. Ich war stur genug, das Manuskript zu Ende zu bringen, hatte aber zum Glück genügend literarischen Geschmack, es nie jemandem zu zeigen.

Nach dem Abi ging ich gleich zum Theater, seit jeher meine grosse Liebe. Ich wurde Dramaturg und Regisseur, und weil meine erste Inszenierung ein Hit war – das Glück des Naiven, der noch nicht weiss, was alles schief gehen kann – kriegte ich gleich den theaterüblichen Grössenwahn und setzte die nächsten Arbeiten so gründlich in den Sand, dass die Trümmer wohl noch immer auf diversen Unterbühnen ruhen. Ich wäre wohl zum Provinzheros verkommen, wenn da nicht die Begegnung mit Fritz Kortner gewesen wäre.

Ich war an den Kammerspielen München sein Regieassistent, und weil er einer von den wirklich Grossen war, veränderte er mein Weltbild so gründlich, dass ich das Regieführen für ein paar Jahre aufgab und an die FU in Berlin wechselte. Ich bin studierter Theaterwissenschaftler, ein typisches Fach für Leute, die – so Kortner – einen anderen Beruf schwänzen.

Irgendwann landete ich dann beim Fernsehen, schrieb eine erste Fernsehspielreihe und machte als Redakteur eine Blitzkarriere. Ich brachte es bis zum Ressortleiter, bis ich von einem Tag auf den anderen in einer Mischung aus Frust und Grössenwahn beschloss, forthin nur noch vom Schreiben zu leben. Das war vor einem Vierteljahrhundert.

Ich schrieb zuerst mal alles, was verkäuflich war; schliesslich war da eine Familie zu ernähren. Vor allem waren das Fernsehshows (zum Beispiel als Ghostwriter von Harald Juhnke in „Musik ist Trumpf“), aber das ist auf die Dauer literarisch etwa so herausfordernd wie die alpinistische Besteigung eines Maulwurfshügels. Also sattelte ich auf Fernsehfilme und -serien um, schrieb unter anderem die erfolgreiche Reihe „Florida Lady“ fürs ZDF und schreckte auch vor so superpopulären Tränendrückern wie Episoden fürs „Traumschiff“ nicht zurück. Die Familie hatte zu leben.

Sie lebte noch viel besser, als ich – wie die Jungfrau zum Kind – zum Texter eines volkstümlichen Schlagers wurde, der gleich den Grand Prix der Volksmusik gewann, worauf ich ein paar Jahre lang als Schlagerfachmann galt. Naja, auch ein Vegetarier kann ein tüchtiger Metzger sein. Schnulzen sind gut verkäuflich, und zum Glück gibt’s ja Pseudonyme.

Ich wurde allmählich zu einem Typen, der sich mit bestellter Ware genügend Zeit erschrieb, um Anspruchsvolleres zu probieren; ein Theaterstück über den Erfinder der Guillotine etwa, oder mein erstes Buch „Hitler auf dem Rütli“, das den fiktiven Anschluss der Schweiz ans dritte Reich schilderte.

Nun kann man vom Schreiben von Büchern, wie Du als Verleger am besten weißt, meist nicht leben, vor allem, wenn man sich auch gerne mal ein bisschen Marmelade aufs karge Butterbrot schmiert. Also pendelte ich wacker weiter zwischen den Fronten, schrieb einerseits meinen ersten Roman „Mattscheibe“ und andererseits einen Fernsehfilm über eine durchs exotische Ostasien tingelnde Gesangstruppe, einerseits Conférence-Texte und Chansons für den Travestie-Star Mary und andererseits Hörspiele für Kinder.

Zwischendurch landete ich mit einem Buch, das eigentlich gar kein Buch, sondern viel mehr ein Pamphlet war, bei Haffmans einen kleinen Bestseller. („Der A-Quotient“ ist gerade bei Zweitausendeins wieder rausgekommen und rennt dort wie wild.)

Mit dem dritten Roman „Johannistag“ glaubte ich dann endgültig den Schritt von der Unterhaltung zur anspruchsvollen Literatur gemacht zu haben, Jubelkritiken in FAZ und NZZ, Schillerpreis und alles, was das Autorenherz sonst begehrt. Und dann ging Haffmans pleite, das Buch war nicht mehr lieferbar und verschwand im Orkus der Beinah-Erfolge. Es wär so schön gewesen…

Unterdessen schrieb ich an anderen Fronten weiter: ein erfolgreiches Theaterstück („Freunde, das Leben ist lebenswert“), ein lang laufendes Musical („Deep“), und mit „Fascht e Familie“ die erfolgreichste Sitcom-Reihe des Schweizer Fernsehens. Wir haben mit unseren Einschaltquoten sogar das Endspiel der Fussball-WM geschlagen, und so was heftet man sich gern als Orden an die Autorenbrust.

Die Neugier auf Neues hat mich noch immer nicht verlassen. 2005 lief ein Fernsehspiel für Mariele Millowitsch, gerade habe ich das Buch für meinen ersten TV-Krimi abgeliefert und Anfang nächsten Jahres kommt mein erster Kinofilm heraus. „Ein ganz gewöhnlicher Jude“, mit Oliver Hirschbiegel als Regisseur und Ben Becker in der einzigen Rolle. (Ja, ein Film mit nur einem Darsteller. Wie gesagt: Ich probiere gern neue Formen aus.)

Und jetzt „Melnitz“. Ich werde nach dieser jüdischen Familien-Saga wohl wieder mal abwehren müssen: Nein, ich bin kein Berufsjude. Genau so wenig wie ich ein Berufs-Unterhalter bin. Oder ein Berufs-Liederschreiber. Oder ein Berufs-Irgendwas. Ich bin nur neugierig.

Hilft Dir das weiter?

Charles

 

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